Audio

Text

Meine Damen, meine Herren, hier sehen sie den Inbegriff der neuen Zeit: das Automobil! Ein technisches Wunderwerk, der Motor ausgestattet mit zahlreichen Pferdestärken, der Geschwindigkeit, Zuverlässigkeit wie persönliche Unabhängigkeit verspricht. Zudem verheißt er Verkehrssicherheit und Sauberkeit. Vorbei sind nun die Zeiten, in denen die Straßen voller dampfender Pferdeäpfel lagen! Beachten Sie darüber hinaus die überragende Formschönheit und Eleganz dieses Automobils. Dies, meine Damen und Herren, ist ein Hansa, hergestellt in den Hansawerken in Varel!

Bereits relativ früh setzte in Varel die Industrialisierung ein und begründete seinen Ruf als „Manchester des Nordens“. Das hatte zunächst mit der günstigen Hafenanbindung zu tun. Auf diese Weise konnten problemlos Rohstoffe herangebracht werden, um sie vor Ort zu verarbeiten. Auf diese Weise entstanden in den 40ern des 19. Jhds. gleich eine ganze Reihe von dampfbetriebenen Baumwollspinnereien und Großwebereien. Dazu gesellte sich bald die Eisenverarbeitung und Maschinenfabrikation. Damit einher ging eine große Veränderung der sozialen Struktur. Es wurden hunderte von Arbeitern insbesondere aus Ostdeutschland angeworben, die unter den widrigsten Umständen ihr Dasein fristen mussten. 1844 erarbeitete das Amt Varel unter dem Druck der Zustände eine „Denkschrift zur Arbeiterfrage“, die mit Vorschlägen aufwartete, wie die tägliche Arbeitszeit auf 12 Stunden zu begrenzen, in den Fabrikhallen Gesundheitsgefährdungen zu vermeiden oder die Kinderarbeit abzuschaffen.
Bereits zwanzig Jahre später hatten sich die wirtschaftlichen Bedingungen vielfach verändert. Der Hafen wurde trotz Ausbau in den 1850ern zunehmend zu klein. Zudem löste mittlerweile die Eisenbahn alle bisherigen Logistikprobleme der binnenländischen Konkurrenz. Entsprechend knickte die wirtschaftliche Entwicklung in Varel ein. Dennoch überdauerte einiges: Familie Schwabe erwarb einige Liegenschaften der Textilindustrie und belebte sie mit einer Leder- und Treibriemenfabrik neu. Auch die Eisenverarbeitung erlebte einen neuen Aufschwung, als die Vareler Fabrikanten August Sporkhorst und Robert Allmers im Jahr 1905 die Produktion für etwa hochgradig Innovatives und sehr Gewagtes aufnahmen, nämlich das Automobil! Zunächst war es ein absolutes Luxusobjekt, für das die hiesigen Straßen gar nicht ausgebaut waren. Aber innerhalb weniger Jahre mutierte das Auto zum Prestigeobjekt der sog. „besseren Gesellschaft“. Selbst Großherzog Friedrich August besaß einen schicken, in Varel gebauten Hansa, mit dem er sich durch die Landschaft chauffieren ließ. Überhaupt machte die Marke Hansa in der mondänen Welt viel von sich reden. Sie galt nicht nur als technischer Trendsetter, sondern gewann auch diverse renommeeträchtige Autorennen! Varel wäre heute vielleicht das Wolfsburg an der Jade, wenn Hansa nicht ein Opfer der Zeitumstände geworden wäre. Inflation und die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges machten den Hansa-Werken schwer zu schaffen. Das Ende kam dann mit der Weltwirtschaftskrise von 1929. Zurück blieb ein Stück Technikgeschichte, deren Errungenschaften zum Teil bis heute noch in jedem Auto zu finden sind.