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Viel war ich im Dienste Gottes unterwegs, mein ganzes Leben lang. Und ich kann sagen, dass ich mir durch aufrichtige Frömmigkeit große Anerkennung erworben habe. War ich doch Beichtvater und Vertrauter von Papst Gregor IX., Bischof von Bosnien und schließlich Ordensmeister des Dominikanerordens. Man nennt mich Johannes von Wildeshausen oder mit meinem lateinischen Beinamen „Teutonicus“, wohl weil man mich von so manch anderem Johannes anderer Abstammung unterscheiden wollte. Ja, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit, das ist es, was mich ausmacht. Und das Fundament all dessen, was ich später in Paris und Bologna lernte, das erfuhr ich hier, in meinem lieben Wildeshausen.
Geboren bin ich hier im Jahre des Herrn 1180. Ich gehörte zur Familie der Grafen von Oldenburg, die sich hier in dieser Zeit die weltliche Herrschaft sicherte und ein kurzes Stück weiter südlich eine Erdhügelburg errichtete. Früh hatte meine Familie beschlossen, ich solle zu unser aller Seelenheil ein Priester Jesu Christi werden. Daher durfte ich bei den gelehrten Männern des Alexanderstiftes all das lernen, was ich als angehender Geistlicher zum Rüstzeug brauchte. Dort im Remter, dem alten Refektorium der Stiftsherren, empfing mich stets der Scholaster und unterwies mich mit liebender Strenge im Lesen, Schreiben und – ganz wichtig – in Latein! O Gloria in excelsis deo!
Der Remter mit seinem dicken Feldsteinmauern wirkte auf mich damals schon wie ein ehrfurchtsgebietender alter Bau. Kühl war es dort immer, was zumindest im Sommer angenehm war. Ursprünglich war der Remter als Gemeinschaftshaus für die Stiftsherren gebaut worden, jetzt hielt man dort in einem der Zimmer auch eine Schule ab. Der Remter war das einzige große Gebäude aus Stein zur damaligen Zeit. Selbst die alte Basilika des Grafen Walbert war damals noch weitgehend aus Holz. Aber inzwischen bin ich alt und es hat sich hier so viel verändert. Die Basilika ist zur mächtigen, hoch aufragenden Kirche aus rotem Backstein geworden, gelobt sei Gott. Südlich der Kirche liegt nun ein Kreuzgang, in dem die Stiftsherren sich in Erbauung ergehen können. Westlich vor dem großen Portal mit seinem hohen Glockenturm liegt der Gottesacker, auf dem sich nicht nur die Kleriker des Stiftes, sondern auch die Bauern und die Handwerker des Ortes zu ewiger Ruhe legen. Nördlich der Kirche, Richtung hunteabwärts, liegt das Haus des Propstes, des geistlichen Vorstehers des Stiftes. Ihm obliegt alle Gewalt innerhalb der Mauern, die das gesamte Gelände des Stiftes umfassen. Das ist die Stiftsfreiheit, in der nicht einmal die Grafen Macht haben. Sie sind in diesem heiligen Bezirk bestenfalls Gäste.
Ja, viel verändert hat sich in den letzten 50 Jahren, aber der Remter steht immer noch hier, unerschütterlich. Möge er hier noch lange Jahre stehen und in seinen Mauern die Gelehrsamkeit wachsen.