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Eigentlich war es wie im Märchen: Hier an der Löninger Str. setzte man den Spaten an und stieß dabei auf einen wahrhaftigen Schatz! Dennoch waren keineswegs alle Beteiligten sofort begeistert hinsichtlich des Fundes, denn es ging bei dem besagten Spatenstich im Jahr 2020 eigentlich um die Erschließung eines Baugebietes und die Spuren menschlicher Siedlungstätigkeit, auf die man gestoßen war, führten zunächst dazu, dass man sich mit dem Bauen noch etwas gedulden musste, denn das Areal wurde nun erst einmal einer gründlichen archäologischen Untersuchung unterzogen. Fast zwei Jahre dauerte schließlich die großflächige Grabung, mit der man die Firma ArchaeNord aus Bremen beauftragt hatte. Der Ertrag jedoch war wirklich erstaunlich und rechtfertigte jeden Aufwand: Man war auf einen bislang völlig unbekannten Siedlungsplatz gestoßen. Die ArchaeNord stieß auf mindestens ein Dutzend Hausgrundrisse aus unterschiedlichen Zeiten und auf etwa 10000 einzelne Fundstücke. Was dabei sehr schnell klar wurde, war, dass dieser Platz über eine wirklich bemerkenswert lange Zeitspanne bewohnt war. Die frühesten Zeugnisse verweisen nämlich in die späte Bronzezeit um etwa 800 v. Chr., während die jüngsten Funde bis ins frühe Mittelalter, also bis ins 8. Jhd. n.Chr. reichen. Damit umfasst der nachgewiesene Siedlungsbestand ganze 1600 Jahre! Der Schwerpunkt der Funde liegt in der Eisenzeit, das bedeutet, dass es hier in Lindern schon zu Zeiten der römischen Cäsaren so etwas wie ein kleines Dorf oder einen Weiler gegeben hat. Sicherlich hatten die Menschen, die hier lebten, von der Schlacht im Teutoburger Wald gehört, das Schlachtfeld bei Kalkriese liegt schließlich keine 60 Km Luftlinie von hier entfernt. Was sie allerdings darüber dachten, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Dasselbe gilt für die vielen weiteren umwälzenden Ereignisse der folgenden Jahrhunderte. Ab dem 3. Jhd. n. Chr. begann in den Landstrichen, die die Römer „Germanien“ nannten, eine unruhige Zeit. Die Stämme, die hier lebten, schlossen sich zu größeren Einheiten zusammen, manche Bevölkerungsgruppen gingen auf Wanderschaft, entweder weil sie sich woanders ein besseres Leben erhofften oder weil sie durch Krieg und Vertreibung dazu gezwungen waren. Die Archäologie in Nordwestdeutschland stieß in diesem Zusammenhang immer wieder auf eine Siedlungslücke zwischen etwa dem 5. und dem 8. Jhd. n. Chr. Diese deutet man vielfach bis heute so, dass die Sachsen, die in unseren Breiten wohnten, z.T. ins Rheinland und teilweise über die Nordsee nach Britannien zogen, wofür es eine ganze Reihe von Belegen gibt. Doch gerade hierzu findet sich in Lindern eine echte Besonderheit: Diese Siedlungslücke gibt es hier nämlich nicht! Offenbar fühlten sich die Menschen hier so wohl, dass es sie nicht in die große weite Welt lockte, sondern sie einfach blieben.
Als um 800 n. Chr. der Siedlungsplatz an der Löninger Str. schließlich aufgegeben wurde, war die erste schriftliche Erwähnung des Ortes Lindern bereits in Sichtweite, nämlich in einer Schenkungsurkunde an das Kloster Corvey, die aus dem 9. Jhd. stammt. Ob die Leute von der Löninger Str. zu diesem Zeitpunkt nur einige hundert Meter weit umgezogen waren, um damit zu „echten“ Lindernern zu werden, kann natürlich heute niemand mehr sagen. Aber immerhin besteht mit dem archäologischen Befund eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass Lindern weitaus älter ist, als man bislang angenommen hat.