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Der Religion haftet ja prinzipiell eine Aura des Überirdischen an. Die Sache mit der Kirche in Lindern ist jedoch in erfrischender Weise vielfach von ganz Menschlichem und Allzumenschlichem geprägt. Das beginnt schon damit, dass Lindern eine ganze Weile auf seine eigene Pfarre warten muss.
Ursprünglich war Lindern nämlich der Kirche in Lastrup zugehörig. Das Problem war nur, dass die Südradde, ein Nebenfluss der Hase, bei schlechtem Wetter nur schwer passierbar war. Das bedeutete, dass die Regelmäßigkeit des Gottesdienstbesuches letztlich von den etwas wankelmütigen Launen des Heiligen Petrus abhing, was selbstverständlich auf Dauer kein haltbarer Zustand war. Deshalb wurde Lindern in der 2. Hälfte des 13. Jhds. eigenständig und es wurde hier mit bescheidenen Mitteln die erste von vermutlich mehreren Katharinenkirchen gebaut.
Die Ackerböden in Lindern waren vielfach schlecht, die Bauern oft bettelarm, das fiel auch auf den jeweiligen Pastor zurück, der von den Einnahmen der Gemeinde leben musste. Im Jahr 1714 beschrieb Pastor Hanekamp in einer Beschwerde den Zustand seines Hauses: „Das zur Gartenseite liegende Dach ist ganz alt und löchrig, so gar dass bei geringen Regenwetter es in die Stube hineinregnet“. Diesen Bedingungen geschuldet wird Hanekamp schon bald in seiner Katharinenkirche begraben. Erst 50 Jahre später will es seinem Nachfolger Pastor Frye gelingen, das alte Pastorenhaus abzustoßen und sich ein neues bauen zu lassen. Trotzdem muss auch er weiterhin sehr darauf achten, wirtschaftlich irgendwie über die Runden zu kommen. Die prekäre Situation wird besonders deutlich, als sich der Streit um die Nutzungsrechte eines Fischteiches zuspitzt. Der Pastor gerät darüber so „in Brast“, dass es zu Handgreiflichkeiten kommt und er kurzerhand seinen Widersacher vor der versammelten Gemeinde exkommuniziert.
Nach Fryes Tod sind sich die Linderner darüber einig, dass sie sich so etwas nicht noch einmal gefallen lassen wollen. Pastor Bredemeyer ist noch gar nicht lange im Amt, da schickt die Gemeinde ein ausuferndes Beschwerdeschreiben nach Münster. Es sind keine 95, nein, es sind sogar 96 Thesen! Der Pastor soll Holz verkauft haben, das ihm nicht gehört, er soll überhöhte Rechnungen ausgestellt haben usw. usf. – Und dann auch noch wieder die Sache mit dem Fischteich! Erstaunlich, dass Bredemeyer trotz allem in Lindern bleibt. 1801 fällt er einmal in tiefe Ohnmacht und die Gemeinde ist fest davon überzeugt, dass der Herr ein Einsehen hatte. Doch nach 4 Stunden wacht er wieder auf und verbringt quicklebendig noch weitere 27 Jahre in Lindern. Und er bleibt unbequem. Berüchtigt sind seine Strafpredigten zum Sittenverfall, die er über Jahrzehnte hinweg regelmäßig hält. Bredemeyer tritt jedoch auch noch in ganz pragmatischer Hinsicht in Erscheinung. Er sorgt dafür, dass der Friedhof neue Pforten bekommt, und zwar mit der einleuchtenden Begründung, dass, wie er schreibt, „die Schweine die Toten aushölsten und sogar in die Kirche kommen, wodurch die Leute verstört werden in ihrer Andacht.“
Viele Jahre später tritt Pastor Vossing seinen Dienst an. Die Gegebenheiten sind mittlerweile weit weniger rustikal. Doch Vossing hat mit einem anderen Problem zu kämpfen: Seine Kirche hat nur 300 Sitzplätze, die Einwohnerschaft seiner Pfarre ist jedoch fast 7mal so groß. Es muss also eine neue, eine größere Kirche her. Mit viel Engagement des Pastors und eigenem Zutun bekommt das noch immer nicht reiche Lindern 1865 eine neue Kirche, und zwar die, die Sie hier vor sich sehen.
Dass es dabei jedoch noch immer sehr menschlich zuging, erweist sich an der Statue der Heiligen Katharina, die das Eingangsportal schmückt. Die erste Version war nämlich so groß, dass sie nicht unter den Baldachin passte. Dass sie einmal die Nummer zwei gewesen ist, sieht man der Heiligen heute aber gar nicht mehr an.