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Hermelings Mühle in Liener ist die letzte verbliebene von 4 Windmühlen, die es einmal rund um Lindern gegeben hat. Sie wird technisch als „Erdholländer mit Durchfahrt und Steert“ bezeichnet. Das klingt zunächst einmal recht Fachchinesisch, lässt sich aber leicht erklären. Es gibt zwei Grundtypen von Windmühlen, das sind einerseits die älteren Bockwindmühlen und andererseits die moderneren Holländerwindmühlen. Die Bockwindmühle musste mit ihrem gesamten Gehäuse in den Wind gedreht werden, was ziemlich umständlich war, der Holländer hat dagegen eine Kappe, in der das Windrad verankert ist, d.h. man muss nur die obere Kappe in den Wind drehen. Und das machte man mit Hilfe des „Steerts“, der rückwärtig fast bis zum Boden reichte und den man als Hebel zum Drehen der Kappe benutzte.
Die Durchfahrt ist tatsächlich etwas Besonderes. Die Mühle in Liener steht nämlich auf einem Erdsockel, in den man einen Tunnel angelegt hat. Dieser wird stabil gehalten durch ein Ziegelstein-Tonnengewölbe. Praktisch ist diese Durchfahrt insofern, als man die schweren Getreidesäcke nicht umständlich von außen hin und her hieven muss, sondern man fährt mit dem Karren einfach in den Tunnel, die Mühle öffnet ihre Luke und holt die Säcke per Flaschenzug nach oben.
Hermelings Mühle ist inzwischen weit mehr als 100 Jahre alt. 1872 wurde sie von einigen Bauern der Umgebung als Genossenschaftsmühle in Auftrag gegeben. 1906 erwarb sie der Müllerssohn Wilhelm Hermeling, seitdem ist sie in Familienbesitz. Wilhelm hatte Gespür für die neue Zeit, daher modernisierte er die Mühle fortlaufend. Er schaffte einen Dampfkessel an, ließ den dazugehörigen Schornstein bauen, der auch heute noch existiert, und schaffte elektrische Motoren für das Sägewerk an, das mit der Mühle verbunden war. Diese Motoren soll er vom Landmaschinenhersteller Perk im benachbarten Lorup mit Speck eingetauscht haben! Aber wer weiß, vielleicht ist das auch nur Müllersgarn. Eine andere erstaunliche Geschichte ist die, dass einem der Müllergesellen beim Umstellen der Mahlgänge ein ziemliches Malheur passiert sein soll. Er stellte sich nämlich dabei so unvorsichtig an, dass es einen Getriebeschaden gab und einer der Mühlsteine durch die Seitenwand nach draußen katapultiert wurde! Zum Glück soll niemand verletzt worden sein.
Jahrzehnte später drehte sich die neue Zeit übrigens noch einmal zurück. Als nach dem 2. WK die elektrische Infrastruktur deutlich gelitten hatte, war man auf einmal ganz froh, dass man noch wieder auf die Windkraft zurückgreifen konnte. Insofern kam die Windmühle in den Jahren 1945/46 noch einmal zu neuen Ehren, bis man dann den Windbetrieb zunächst einmal endgültig einstellte. Seit 1961 hatte die Mühle nicht einmal mehr Flügel und stand als Stumpf da. Anfang der 90er Jahre setzten sich Bürgermeister Alfons Schewe und Gemeindedirektor Paul Husmann mit vielen anderen Beteiligten für den Erhalt der Mühle ein, so dass sie von 1993-96 mit großem ehrenamtlichen Engagement insbesondere der Bauerschaft Liener liebevoll restauriert werden konnte. Heute präsentiert sie sich daher in einem guten und voll funktionsfähigen Zustand. Seit 2008 ist Hermelings Mühle offizielle Station der Niedersächsischen Mühlenstraße.