Audio

Text

Der Marktplatz von Lindern ist tatsächlich ein regelrechtes Schatzkästchen geworden. Insbesondere seitdem die Ratsklause in den Jahren 2019/2020 rundumsaniert und teilweise neugebaut wurde, ist die Linderner Ortsmitte ein echtes Schmuckstück.
Die Ratsklause mit ihrem Hotel- und Gastbetrieb hat übrigens eine über 200jährige Tradition. Woher man das so genau weiß? Bei den Umbau- und Sanierungsarbeiten hat man auf dem Dachboden eine Schankkonzession aus dem Jahr 1815 entdeckt: Herzog Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg gewährt darin dem damaligen Inhaber des Hauses, Bernd Anton Remmers, das Recht, „Reisende und Fremde zu beherbergen, sitzende Gäste zu halten, diese zu speisen, auch alle Arten von Getränken bey Gläsern, Kannen und Maaßen auszuschenken“. Ein schöner Fund, über den sich jede traditionsbewusste Gastwirtschaft nur freuen kann - aber das war beileibe noch längst nicht alles! Besagter Bernd Anton Remmers war nämlich Spross einer Familie, die über Generationen hinweg das Geschick der Ortschaft Lindern maßgeblich mitgeprägt hat. Die Remmers waren nicht nur Gastwirte, sondern u. a. auch Gemeindevorsteher, Grenzzollaufseher, Bonitätsprüfer und Kirchenprovisoren, wobei der Sohn jeweils dem Vater in der Fülle der Ämter nachfolgte. Sie alle produzierten im Verlauf ihrer administrativen Tätigkeiten eine Unmenge an Papier, die sich jahrzehntelang aufstapelte, um dann später in Vergessenheit zu geraten. Auf diese Weise hatte sich auf dem alten Dachboden nicht nur die Schankkonzession erhalten, sondern buchstäblich aberhunderte von Dokumenten und Archivalien aus einem Zeitraum vom 17. bis ins 20 Jhd.! Die älteste Urkunde ist dabei ein Kaufvertrag aus dem Jahr 1614. Insgesamt ist dieser Fundus eine unschätzbare historische Kostbarkeit, die bis ins Detail hinein den Alltag Linderns in den vergangenen Jahrhunderten bezeugt und damit einen ganz neuen Zugang zur Regionalgeschichte, aber auch weit darüber hinaus bildet. Es ist das ganz große Verdienst der für den Umbau Verantwortlichen, insbesondere der Innenarchitektin Gertrud Gerdes, dass sie den Wert des Fundes sofort erkannten und sicherten, so dass er nach all der Zeit nicht schließlich doch noch der Zerstörung anheimfiel, sondern der Forschung zugeführt werden konnte. Der gesamte Fundus liegt mittlerweile in der Heimatbibliothek des Oldenburger Münsterlandes in Vechta, wo er von kundiger Hand durch Dr. Eva-Maria Ameskamp sortiert und im Überblick gesichtet wurde. Erste Ergebnisse der Forschung ergaben ein erfrischend buntes Bild: Es finden sich Zeugnisse, die ihrem Ärger über den Zoll an der Grenze zum benachbarten Werlte Luft machen – Lindern war seit 1803 Oldenburgisch, während Werlte zu Hannover gehörte und damit „Ausland“ war. Daneben findet sich z.B. ein Antrag auf eine „Tanzlustbarkeit“ an sonntäglichen Nachmittagen, dem jedoch von Seiten der Obrigkeit nicht stattgegeben wird. Ein anderes Papier berichtet von einem Strafbefehl gegen den Wirt, der während des Gottesdienstes Bier verkaufte, usw. usf. Jedes einzelne Dokument eine eigene Geschichte!
Und wenn Sie der Ratsklause einen Besuch abstatten, wozu ich Ihnen ausdrücklich raten möchte, dann werden Sie merken, dass die Atmosphäre in diesem schönen alten Gasthaus all diese Geschichten noch immer atmet.