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Ja, was soll man davon nun halten?! Der Graf von Bentinck, Nachfahre gekrönter Häupter, Reichsgraf und Regent von Varel heiratet. Die Sache an sich ja gar nicht einmal delikat. Er ist schon seit vielen Jahren Witwer, also warum keine neue Ehe? Aber, ich sag Ihnen was: Der Graf heiratet eine Bürgerliche! Sarah Gerdes heißt die gute Frau und ist Tochter eines Moorkolonisten hier aus der Gegend! Soll man das glauben? Und nicht nur das! Er heiratet die Dame erst jetzt, nachdem er mit ihr schon ein jahrelanges Verhältnis gehabt hat, eine „Gewissensehe“, wie er das nannte. Drei Kinder hat das Paar über die Jahre bekommen, allesamt unehelich. Sodom und Gomorrha sag ich nur! Sarah Margarethe Gerdes aus Steinhausen wird jetzt also am Traualtar zur Gräfin von Aldenburg-Bentinck. Na, wenn das mal kein Aufstieg ist!

Die Familiengeschichte der Aldenburgs-Bentincks ist von Anfang an skandalumwittert. Graf Anton Günther hatte eine Liaison mit der erheblich jüngeren Elisabeth von Ungnad, die es durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges nach Oldenburg verschlagen hatte. Folge dieses Tete-a-Tete war die Geburt des Sohnes Anton, der der einzige Nachkomme des Grafen Anton Günther blieb. Der Graf hätte ihm zu gerne seine gesamte Herrschaft vermacht, aber das war wider alles Recht. Immerhin konnte Anton Günther seinem Sohn die Herrschaft in Kniephausen und Varel sichern. Zudem wurde Anton in den Reichsgrafenstand erhoben und durfte sich fortan „von Aldenburg“ nennen. So brachte er den Glanz einer gräflichen Residenz nach Varel. Den Aldenburgern war jedoch nur kurzes Glück beschieden. Anton starb ohne Erben, hinterließ jedoch eine schwangere Ehefrau. Erstaunlicherweise brachte sie es gegen alle Widerstände zuwege, dass ihr Sohn 1706 als Anton II. das Erbe seines Vaters antreten konnte. Die Herrschaft war jedoch zu klein, um wirtschaftlich lebensfähig zu sein, dazu kamen die Verluste durch die verheerende Weihnachtsflut von 1717. Anton brauchte dringend einen Geldgeber und den fand er in dem niederländischen Grafen Wilhelm von Bentinck, dem er auch gleich seine Tochter Charlotte Sophie verheiratete. Dieser Ehe entstammten zwar zwei Söhne, dennoch war sie unglücklich und wurde schon bald wieder geschieden. Die Gräfin war daraufhin wie befreit. Sie widmete sich fortan ihren geistigen Interessen, unterhielt Briefkontakt zu Friedrich dem Großen und Voltaire und zog schließlich an den Hof von Bückeburg, wo sie über Jahre hinweg als Favouritin ihrer Jugendliebe Wolfgang von Schaumburg-Lippe lebte und ihm zwei Kinder gebar. Dass Wolfgang währenddessen mit ihrer Cousine verheiratet war, stellte offenbar kein Hindernis dar.
In Varel traten schließlich ihre Nachkommen aus dem Hause Bentinck die Nachfolge an, wo dann Reichsgraf Wilhelm Gustav Friedrich im Jahre 1816 mit der Heirat der bürgerlichen Sarah Gerdes die nächste und letzte Skandalgeschichte des Grafenhauses schrieb. Im Jahre 1854 ging die Herrschaft in Varel an das Großherzogtum Oldenburg über.