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Wissen Sie was? Tun Sie doch einfach mal etwas ganz Verrücktes! Etwas, das Sie sonst nie tun! Heben Sie einfach mal den Blick. Und was sehen Sie? Lassen Sie mich raten: Hausfassaden! Und was für schöne!
Um so ein Haus zu bauen, musste man auch früher schon ein ziemlich dickes Portemonnaie haben. Hier in Bramsche würde der Ausdruck „gutbetucht“ eigentlich noch besser passen, da viele der wohlhabenden Bürger Bramsches ihr Geld ja mit der Tuchweberei verdienten.
Ende des 19. und Anfang des 20. Jhds. wollte derjenige, der es sich leisten konnte, der Enge und dem Lärm des Stadtzentrums entfliehen und baute am Stadtrand, wo es sogar noch Platz für einen Garten gab.
Hier in Bahnhofsnähe existierte ein Waldstück, das Breuel genannt wurde. Seine Lage ist noch heute an den Straßennamen erkennbar. Als man hier 1876 die Bahntrasse zwischen Osnabrück und Oldenburg verlegte, begann das große Abholzen, womit zusätzliches, günstig gelegenes Bauland frei wurde. Davon, dass eine ganze Reihe liquider Bauherren diese Gelegenheit zu nutzen wussten, zeugen bis heute zahlreiche Villen in der Bahnhofstraße und Umgebung.
Wenn Sie sich die Fassaden ansehen, wird Ihnen auffallen, dass Geschmack und Stil durchaus unterschiedlich waren. Nach der Reichsgründung 1871 gab sich das deutsche Bürgertum gerne national und geschichtsverbunden, was sich auch im Baustil wiederfand, dem sog. Historismus. Das bedeutete nichts anderes, als dass man die Formensprache historischer Bauepochen kopierte. Hatte man eine Vorliebe für das Hochmittelalter, baute man „neo-gotisch“. Schätzte man eher den imperialen Stil der alten Römer, baute man „neo-klassizistisch“. Die Industrialisierung hatte übrigens auch im Bauwesen zu einer Massenanfertigung geführt. Aus dicken Katalogen konnten sich Bauherren und Architekten Säulen, Pfeiler und Stuckelemente bestellen, um sie nach Geschmack frei zusammenzustellen.
Aber nichts ist ewig, so auch nicht der Historismus. Seit etwa 1890 entwickelte sich eine Gegenbewegung, die ihren Namen nach der Münchner Zeitschrift „Die Jugend“ erhielt, nämlich der sog. „Jugendstil“. Seine Hauptmerkmale sind Muster aus langen schwungvollen Linien und Ornamente aus stilisierten Pflanzen- und Tierformen, häufig auch bestückt mit Gesichtern von Kindern oder jungen Frauen.
So unterschiedlich beide Stile auch sind, ihnen gemeinsam ist das handwerkliche Können und eine Gestaltung der Räumlichkeiten, die in erster Linie die Bedürfnisse der Bewohner im Blick hat – abgesehen natürlich von der Unterbringung des Hauspersonals in Kellerräumen und Dachkammern.
So, und jetzt gehen Sie erhobenen Hauptes auf Entdeckungstour! Nur bitte eines: Vermeiden Sie dabei die Kollision mit denjenigen, die im Gegensatz zu Ihnen den Kopf ständig gesenkt halten und ihren Blick nicht vom Smartphone losreißen können…

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