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Endlich! Endlich, sage ich nur! Dieser ganze alte Ballast von Kleinstaaterei und Feudalherrschaft wird nun abgerissen. Ja, ruhig weg damit! Dann ist hier in Varels Mitte endlich Platz für etwas Neues. Seit dem Ende der Grafenherrschaft standen ohnehin große Teile des Schlosses leer. Einiges ist sogar völlig marode. Darüber hinaus sind in den letzten 100 Jahren ohnehin schon Teile des Schlosses abgebrannt, dann kann man jetzt auch einen glatten Schnitt machen.
Seit 1856 ist Varel eine „Stadt“, womit ein großes Maß an Selbstverwaltung einhergeht. Außerdem geht es wirtschaftlich mit uns bergauf. Ich denke, das darf man in unserem Stadtbild ruhig sehen! Ein Rathaus braucht es und einen ordentlichen Bau, in den das Gericht Einzug hält, und das alles am besten schön hier um einen zentralen Platz herum, wie es sich für eine ordentliche Stadt gehört!

Die 1850er sind für Varel eine Zeit des Aufbruchs. 1854 fand die Herrschaft des Grafenhauses Bentinck ihr Ende und 1856 erhielt Varel den Status einer „Stadt 2. Klasse“, zwei Jahre später sogar den einer „Stadt 1. Klasse“, was zumal mit dem Bevölkerungszuwachs und dem Ausbau der heimischen Industrie zu tun hatte.
Mit dem Ende der Grafenherrschaft stand jedoch die Frage der Nachnutzung der bis dato verbliebenen Teile des Schlosses im Raum. Einige amtliche Stellen, seit einigen Jahren auch das Gericht, waren in Nachfolge der gräflichen Administration im Schloss verblieben, jedoch war der bauliche Zustand nicht mehr der allerbeste und die Räumlichkeiten genügten kaum noch zeitgemäßen Ansprüchen. In Absprache mit dem Vareler Stadtdirektor Klävemann plante der Oldenburger Oberbaudirektor Lasius eine Neustrukturierung des Vareler Zentrums. Damals spielten denkmalschutztechnische Fragen noch keinerlei Rolle, sonst hätte man sicherlich auf den Erhalt des Schlosses und seiner jahrhundertealten Bausubstanz gedrängt. So war man dagegen froh, Platz zur Neugestaltung zu bekommen. Ab 1860 wurde das Schloss abgetragen, was sich allerdings einige Zeit dahinzog. Zehn Jahre später war man endlich so weit, an Ort und Stelle, eine Neugestaltung angehen zu können. Der auffälligste Bau in diesem Zusammenhang ist sicherlich das Amtsgericht, das 1871 fertiggestellt wird.
Architekt Anton Klingenberg bekam den Zuschlag für seinen Entwurf eines klar gegliederten Ziegelbaus im Stil der Neugotik mit plastischen Schmuckelementen. Die 1870er gehörten in die Hochphase des sog. „Historismus“, eines Architekturstils, der sich ganz bewusst an historischen Vorbildern orientierte. Und das Mittelalter galt in diesen Jahren als besonders schick, da es im Zuge der Gründung des 2. Deutschen Kaiserreichs zur besonders erfolgreichen nationalen Epoche verklärt wurde.
Nach dem Vorbild des Amtsgerichts wurden noch weitere Bauten in Varel errichtet, die katholische Kirche, die Schule in der Osterstraße und die Schule am Schlossplatz und nicht zuletzt das Krankenhaus.