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Auf den Wegen und Stegen rund um Westerstede ging es nicht immer ganz geheuer zu. Das ist aber auch kein Wunder. Denn in der Landschaft lagen früher die kleinen Ortschaften oder sogar einzelne Höfe recht weit auseinander und die Nacht, die in alter Zeit tatsächlich noch dunkel war, barg ihre eigenen Gefahren. Insofern sind die folgenden Geschichten ein Spiegel der hiesigen Lebenswirklichkeit noch bis weit ins 19. Jhd. hinein.

Ich sage euch nur: Nehmt euch in Acht, zumal wenn ihr nachts unterwegs seid! Nicht weit von hier soll es einen Raubmord an einem Reisenden gegeben haben. Seitdem geht in der Gegend ein Spuk um! Ob es sich dabei um die arme Seele des Erschlagenen handelt oder um die des ruchlosen Mörders weiß jedoch keiner mehr zu sagen.
Noch schlimmer aber ist die Erscheinung, die wir „das schreiende Ding“ nennen. Es fährt durch die Luft und schreit auf eine Weise, die kein Mensch beschreiben oder auch nur ansatzweise imitieren könnte. Das Geschrei ist so laut, dass es meilenweit über die Landschaft schallt. Dabei fährt es einem durch Mark und Bein, auch die Hunde drehen völlig durch, wenn sie es hören! Aber die Gänsehaut, die man bekommt, ist nur das Allergeringste, viel schlimmer ist, dass dem Geschrei das Unglück nachfolgt! Vor vielen Jahren ist das Ding um die Häuser der Bauern von Mansie und Hüllstede gekrochen und hat dabei laut geschrien: „Weh, weh, ji Buren!“ Nur wenig später waren die Bauern dort allesamt verarmt und mussten ihre Höfe verlassen!
Zu sehen ist das Ding nur selten. Einige meinen, es hätte die Gestalt eines unheilvoll glühenden Wagenrades, aber manche meinen, es sehe eher aus wie eine Art Wurm, der sich fortbewege, indem er sich zusammenziehe wie eine Raupe. Manchmal richte sich das Ding auch auf. Wenn es sich dann in eine Richtung fallen lasse, würden selbst die dicksten Äste der Bäume und Büsche brechen. Wenn ihr ein solches Geräusch in der Nacht hört, dann lauft, denn noch ist es dann nicht zu spät!
Wenn man also nachts hier unterwegs ist, muss man durchaus mit einem Spuk rechnen. So ging es auch einem Dieb, der einem Bauern den Speck aus dem Rauch gestohlen hatte. Ihm kam eine Gestalt entgegen, die einen Toten trug. Voller Schrecken warf er den Speck von sich und nahm die Beine in die Hand, wie es nur eben ging. Nur war es so, dass die Gestalt kein Gespenst war, sondern der Schuster aus dem Nachbarort. Dem hatten ein paar Mordbuben einen Toten vors Haus gesetzt und nun beratschlagten die Eheleute, was sie mit dem Leichnam anfangen sollten. Die Frau des Schusters hatte Angst, dass man ihnen den Mord anhängen würde, deshalb schickte sie ihren Mann noch dieselbe Nacht ins Lengener Moor, dort sollte er die Leiche versenken. Als er auf dem Weg dorthin war, begegnete ihm der besagte Dieb mit dem Speck.
Als der Schuster nun kurz vor Sonnenaufgang wieder zuhause anlangte, fragte ihn seine Frau, wie er den Leichnam losgeworden sei. Da lächelte er und sagte leichthin: „Den habe ich gegen den Speck hier eingetauscht“, und legte denselben auf den Küchentisch.

Glauben Sie aber nicht, dass Sie auf unserem weiteren Weg hier irgendwo ein gutes Stück Speck finden werden! Lassen Sie sich sagen: Geschichte wiederholt sich nicht!