Ochtrup

Hochzeit von Tochter Margarethe Laurenz Familienleben und Hausgeschichten in der Villa Winkel

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Heute, am 4. Mai des Jahres 1926, brach der Tag sonnig und schön an. Eine Nachtigall hatte mich aus dem Schlummer geweckt. Ich blieb in meinem Bett, bis man mich wünschte. Ich war ruhig und froh, wurde aber noch glücklicher, als ich, Grete Laurenz, zukünftige Schilgen, mein Brautkleid anzog und mir der Kranz und Mutters Schleier aufgesteckt wurde. Und dann kam mein zukünftiger Mann, er küsste mich und wir sahen uns strahlend in die Augen.
Ich bin mir sicher, dieser Tag wird wunderschön, alle meine Lieben sind um mich herum, meine 4 Geschwister, meine liebe Mutter und mein lieber Vater, der Fabrikant Anton Laurenz.
Sicher bin ich glücklich, trotzdem werde ich sie alle schrecklich vermissen, denn mein Mann und ich, wir werden nach Münster gehen, da er dort als Arzt praktizieren wird. Auch werde ich dort sicher nicht in einem so großen und schönen Haus leben, das darüber hinaus so einen wundervollen Garten hat.
Mein Vater, dem zusammen mit seinem Bruder Bernhard die Textilfabrik Laurenz hier in Ochtrup gehört, hatte sich die Villa im Jahr 1899 als repräsentatives Haus in Stil der Neorenaissance mit einigen schönen modernen Jugendstilelementen bauen lassen. Meine Mutter stammt von einem großen Gutshof bei Münster und ihre Liebe gilt seit Kindheitstagen der Landwirtschaft. Deshalb kaufte mein Vater zum Haus ein großes Grundstück dazu, um meiner Mutter die Freude zu machen, ihr die Haltung von Tieren
zu ermöglichen. So befinden sich in ihrer Obhut ein Pferd, ein Esel, 2 Kühe, Schweine und viel Federvieh, aber auch einige Rehe.
Ach, meine Mutter, sie ist überhaupt eine wunderbare, warmherzige Frau. Dass sie seit 1913 dem Roten Kreuz in Ochtrup vorsteht, ist nur eine ihrer vielen karitativen Aktivitäten. Viel kümmert sie sich auch um das örtliche Waisenhaus, das die Firma Laurenz eingerichtet hat. Und oft kommen die Frauen aus dem Ort zu ihr, wenn sie Sorgen oder Nöte haben. Denn eines ist ihnen gewiss: Maria Laurenz weiß immer Rat und hilft, wo sie kann.
Meinen Eltern galt von jeher der wirtschaftliche Erfolg gleichzeitig als Verantwortung und als Pflicht.
Deshalb gilt die allererste Sorge meines Vaters vor allem seinem Betrieb und seinen Arbeitern. Die Firma Laurenz weiß sich den Menschen, die von ihr abhängig sind, in besonderer Weise verbunden, daher hat sie Arbeiterwohnungen gebaut, in denen man gut und menschenwürdig leben kann, ein Krankenhaus, das Waisenhaus und vieles mehr.
Zu dieser Lebenseinstellung gehört jedoch auch, sich nicht dem überflüssigen Luxus hinzugeben. Die Einrichtung der Villa ist schlicht, ebenso der Kleidungsstil unserer Familie. Auch wurden wir Kinder nie auf Samt gebettet. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich den abgenutzten Griffel oder Bleistift immer vorzeigen musste, wenn ich neue Schreibutensilien brauchte. Unsere Schlafstuben lagen direkt unterm Dach. Man möchte sich fragen, warum das bei so viel Platz sein musste. Wir hatten jedoch
beständig viele Gäste im Haus, die wegen der noch immer schlechten Verkehrsverhältnisse oft mehrere Tage blieben.
Wenn mein Carl und ich selbst einmal Kinder haben, werden sie ihre Großeltern hier sicher ebenfalls besuchen. Wenn es nach mir geht, möglichst oft, denn wo lässt es sich schöner Kind sein als hier?

Tatsächlich haben Gretes Kinder ihre Großeltern in Ochtrup oft besucht. Gegen Ende des 2. Weltkriegs, als Münster sehr unter dem Bombenkrieg der Alliierten litt, wohnten sie hier sogar beständig. 1946 beschlagnahmte die britische Militärregierung jedoch die Villa, womit die Nutzung durch die Familie Laurenz ein Ende fand. 1969 kaufte die Stadt das Haus und brachte dort nach umfassenden Renovierungen seit 1977 eine ganze Reihe von städtischen Einrichtungen unter, die auch heute noch hier zu finden sind.