Foto - Stefan Herringslack

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Der Tote wurde auf den gepflasterten Fußboden gelegt, quer zur Ausrichtung des alten Steingrabes, so wie es von alters her Sitte war. Daneben wurde ein großes Tongefäß mit typischer trichterförmiger Öffnung gestellt. Gefüllt war es mit den traditionellen Speisen für die Reise in die andere Welt. Dazu legte man noch das Steinbeil aus dem Besitz des Verstorbenen neben ihn. Man konnte ja nicht wissen, ob er es nicht doch wieder brauchen würde.

Die Umstehenden waren alle nicht zum ersten Mal hier, um einen der Ihren in die Gemeinschaft der Ahnen zu entlassen. So hatten sie es schon immer getan, schon länger als sich irgendein Lebender erinnern konnte. Soweit sie wussten, hatte das Grab ihrer Sippe schon immer hier gestanden: ein zeitloses Tor zwischen den Welten.

Nun war es soweit, der Tote musste seinen Weg alleine weitergehen. Aber nicht für lange, denn während des nächsten Mondes würde hier eines der notwendigen Rituale abgehalten werden. Außerdem konnte niemand wissen, ob nicht schon bald jemand anderer aus dem Dorf den Weg zu den Ahnen gehen würde. Dann wären sie wieder hier, um den immer gleichen und doch wieder neuen Ritus vom Werden und Vergehen zu zelebrieren, mit dem sie ihren Gefährten auf die letzte Reise schickten.

So oder so ähnlich muss es hier vor vielen tausend Jahren zugegangen sein, als das vor uns liegende Großsteingrab von Wechte noch intakt war: eine imposante Anlage von etwa 40 m Länge, mit Deckensteinen versehen und von einem Erdhügel ummantelt. Die lange Zeit hat mittlerweile viele Spuren getilgt. Die Decke brach ein, der Hügel verschwand und die gewaltigen Steine knapp unterhalb der Bodenkrume verblieben nur noch als Ärgernis für den pflügenden Bauern. Im Unterschied zu anderen Anlagen, die als sagenhafte „Hünengräber“ die Fantasie der Menschen anregten, war das Grab in Wechte für viele Jahrhunderte sogar gänzlich aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden. Erst 1927 fand man es zufällig wieder und grub es akribisch aus. Dass das Grab verschwunden gewesen war, erwies sich jedoch als glückliche Fügung, denn dadurch konnten die Archäologen riesige Mengen an Keramikscherben sicherstellen. Darüber hinaus fanden sich Schmuckstücke aus Bernstein und einige kleinere Objekte aus Kupfer. Zum einen wird hier deutlich, dass unsere Vorfahren aus der Megalithzeit offenbar schon weitreichende Handelsbeziehungen pflegten. Zum anderen verrät der Kupferfund, dass wir uns hier schon am Übergang zwischen Stein- und Metallzeitalter befinden. Da dieses Mehrgenerationengrab vermutlich mehrere hundert Jahre benutzt wurde, kann man von einer Bauzeit wohl um etwa 2500 v. Chr. ausgehen. Die letzten Begräbnisse werden um etwa 2000 v. Chr. oder etwas später stattgefunden haben. Übrigens liegt nur einen knappen Kilometer entfernt noch ein zweites Großsteingrab. Es war größtenteils zerstört,  so dass man sich dafür entschied, aus seinem Bestand fehlende Steine des Grabes, vor dem wir hier stehen, rekonstruierend zu ergänzen. Es beherbergte nur relativ wenig Fundmaterial, so dass man davon ausgehen kann, dass es nicht allzu lange in Benutzung war. Interessanterweise fand man in dieser Grabanlage einen römischen Denar. Wie eine Münze aus einer 2000 Jahre späteren Epoche dorthin gelangen konnte, ist bis heute ein Rätsel.