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„Seid mir gegrüßt, ihr freien Friesen!“ Oder wie es in der alten Sprache der Friesen heißt: "Eala Frya Fresena!“
Die berühmte friesische Freiheit ist bis heute ein Mythos, und das nicht von ungefähr! Dabei steht am Anfang der Geschichte ein furchtbares Unheil, das ganz Europa heimsucht, nämlich die Überfälle der Wikinger! Große kraftstrotzende Krieger mit solch eindrücklichen Namen wie „Erik Blutaxt“ erscheinen mit ihren wendigen Drachenbooten überall an den Küsten und niemand scheint vor ihnen sicher zu sein. Selbst der mächtigste Herr Europas, nämlich Karl der Große, macht sich Sorgen, denn er hat den schnellen und schlagkräftigen Raubkommandos der Nordmänner kaum etwas zum Schutz seines Reiches entgegenzusetzen.
Vor diesem Hintergrund entstand eine mittelalterliche Saga: Aus der Not heraus entscheidet König Karl, die Friesen sollen sich innerhalb eines regional selbstverwalteten Abwehrsystems selbst verteidigen. Zudem sagt Karl ihnen zu, dass sie außerhalb ihrer Landesgrenzen keine Heeresfolge mehr zu leisten haben.
Tatsächlich ist das Konzept des Königs erfolgreich: Die Friesen können sich ein ums andere Mal erfolgreich gegen die Wikinger wehren, bis die Zeit der Bedrohung vorbei ist und Skandinavien Teil der christlich-europäischen Völkerfamilie wird.
Während nun im Mittelalter fast ganz Europa unter die Feudalherrschaft fällt und die Bauern von adeligen Landbesitzern abhängig werden, sieht es in Friesland ganz anders aus: Die Bauern beackern ihr eigenes Stück Land, und wenn es etwas zu regeln gibt, dann sprechen sie sich untereinander ab, und das sehr effektiv: In diesen Jahrhunderten entsteht das große Generationenwerk der Friesen, mit dem sie nachhaltig ihr Land sichern, diesmal nicht gegen einen menschlichen Gegner, sondern gegen den „Blanken Hans“, die Fluten der Nordsee. Es entsteht der „Goldene Ring“, ein lückenloses Deichsystem, das die gesamte friesische Nordseeküste umfasst.
Etwa zur selben Zeit geben sich die Friesen die sogenannten 17 Küren, also Gesetze, bei denen an prominenter Stelle das Privileg Karls des Großen wieder auftaucht - kein
ungeschickter Schachzug, sich bei diesem exorbitanten Katalog an Freiheiten ausgerechnet auf den Urvater Europas zu berufen, denn seine Autorität gilt noch nach Jahrhunderten als gänzlich unantastbar.
In dieser Weise gut aufgestellt entwickelt sich Friesland im 13. Jahrhundert zu einem funktionalen Bündnissystem, das einerseits den Landfrieden nach innen sichert, aber auch zum machtvollen Instrument wird, um auswärtigen Gegnern Paroli zu bieten. Im nahegelegenen Aurich befindet sich der „Upstalsboom“, ein alter Grabhügel, der als Versammlungsstätte der Friesen diente. Dort kamen einmal im Jahr nach Pfingsten die Abgesandten der „Sieben Seelande“ zusammen, die sogenannten „Redjeven“ oder „Ratgeber“: Sie sprachen Recht und schlichteten Streitigkeiten, so dass der Frieden innerhalb Frieslands erhalten blieb. Das Kloster Ihlow aber, das in ganz Friesland ein außerordentliches Ansehen genoss, fungierte aller Wahrscheinlichkeit nach als Kanzlei und Archiv dieses alten friesischen Bundes. Neben dem „Upstalsboom“ war das Kloster Ihlow damit ein weiterer wichtiger Ort der Friesischen Freiheit.