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Es ist ein Verbrechen! Da heißt es, der Fürstbischof von Münster sei ein gnädiger und rechtschaffener Herr, aber ich habe etwas ganz anderes erlebt!
Ach, wir in Wildeshausen gehörten schon seit Jahrhunderten zu Bremen, auch wenn die Bremer Bischöfe uns immer wieder aus Geldnot an andere Herren verpfändeten - zuletzt auch an den Bischof von Münster. Da der bereits Delmenhorst und Harpstedt erobert hatte, kam ihm Wildeshausen natürlich gerade recht. Trotzdem blieben wir Wildeshauser selbstbewusst, schließlich waren wir es gewohnt, die meisten unserer Angelegenheiten nach Bremer Recht selbst zu regeln. Daraus entstand so manche Nickligkeit mit den Münsterschen, die wir jedoch gar nicht recht ernst nahmen. Damals hatten wir noch keine Ahnung, welchen Zorn wir auf uns gezogen hatten.
Unser Stadtrecht sah vor, dass im Wechsel immer einer unserer drei Bürgermeister am 7. Januar die Amtsgeschäfte übernahm. Mein lieber Gemahl, der Bürgermeister Jakob Lickenberg, war besonders vertraut mit seinem Kollegen Rode bi dem Dore. Dieser nun war außer sich, weil ein Kölner Kleriker namens Kasselmann ihn vor Gericht mit falschen Aussagen schwer geschädigt hatte. Daher bat er meinen Mann um Hilfe. Als ein Verwandter Kasselmanns zufällig in Wildeshausen war, tüftelten die beiden einen Plan aus. Sie nahmen ihn gefangen und zwangen ihn, einen Brief zu schreiben. Der Inhalt besagte, Kasselmann solle nach Hatten in der Nähe von Oldenburg kommen, um dort seine Geliebte zu treffen, eine delikate Angelegenheit, zumal Kasselmann ein Geistlicher in münsterschen Diensten war. Dort nun stellten ihm bi dem Dore und mein Mann mit einigen Vertrauten eine Falle. Der Anschlag gelang, aber die Sache lief schnell aus dem Ruder. Kasselmann wurde getötet und bi dem Dore soll in seiner Wut dem Meineidigen sogar noch die Zunge herausgeschnitten haben.
Die Verwandten Kasselmanns aber verklagten daraufhin die ganze Stadt Wildeshausen, die kurzerhand geächtet wurde. Vielleicht war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, vielleicht war es aber auch nur die Gelegenheit, auf die der bischöfliche Zorn gewartet hatte. Am 20. April 1529 rückte der Bischof von Münster heimlich mit Söldnern an. Er wies seinen Drost Vincke an, die Truppen nachts durch das Außentor in die Burg zu lassen, um mit ihnen folgenden Tags, wenn die Wildeshauser ihr Tor in Richtung Burg öffneten, die Stadt im Handstreich zu nehmen. Bi dem Dore hatte sich inzwischen längst aus dem Staub gemacht, also wurde mein armer Mann als Hauptverantwortlicher auf die Burg geschleppt. Was er dort erleiden musste, will ich mir gar nicht ausmalen. Drei Tage später wurde öffentlich vor dem Rathaus Gericht gehalten. Mein Mann gestand alles, was man ihm vorwarf, ohne Einschränkung. Offenbar hatten die Folterknechte ihre Arbeit gut gemacht. Zum Lohn für sein Geständnis wurde ihm die Strafe erleichtert. Er wurde also nicht wie ein Strauchdieb gerädert oder gehängt, sondern ehrenvoll mit dem Schwert enthauptet. Das Schafott baute man hier vor dem Rathaus auf und die ganze Stadt musste zusehen. Damit war das Strafgericht aber noch nicht beendet. Unsere Stadtwälle, die über Jahrhunderte unsere Sicherheit bewahrt hatten, wurden abgetragen und alle Rechte einer Stadt einkassiert. Wildeshausen wurde zu einem Flecken minderen Rechts.
Viele, mit denen ich seitdem gesprochen habe, überlegen, ob sie Wildeshausen nicht den Rücken kehren. Wie sollen wir uns nur jemals wieder davon erholen?