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O Gott, o Gott! Was haben wir nur an uns, dass sie uns so hassen? Seit über 200 Jahren leben Juden in Wildeshausen. Da sollte man doch meinen, die Leute hätten sich allmählich daran gewöhnt! Zumal wir doch gar nicht auffallen! Wir leben wie sie, wir sprechen wie sie und wir denken doch im Grunde genauso wie sie. Auch wir lieben unsere Heimat und wollen hier einfach nur in Ruhe und Frieden leben.
Aber mit dem Frieden ist es vorbei. Von den Zeiten, in denen Abraham Heinemann Ratsherr war und Juden in die Schützengilde aufgenommen wurden, will ich gar nicht reden. Doch schon vor dem Januar 1933, und dem, was die Nazis „Machtergreifung“ nennen, war es so manches Mal besser, zu bestimmten Anlässen nicht auf die Straße zu gehen. Der rechtsnationale Stahlhelm ist in Wildeshausen schon in den 20er Jahren stark gewesen, aber seit der großen Wirtschaftskrise wählten die Leute immer mehr die Nazis, weil sie ihren Parolen glaubten, nur sie könnten noch die Rettung bringen. Erst wurde ein grölender Nazi Ministerpräsident des Landes Oldenburg, dann wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Kaum war er an der Macht, ging es los mit judenfeindlichen Gesetzen. Im April 33 organisierte die SA einen Boykott jüdischer Geschäfte, auch hier in Wildeshausen, daran kann ich mich gut erinnern. Als wenig später in Schaufenstern der Stadt Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht!“ hingen, lief es mir kalt den Rücken herunter. Die Ladenbesitzer waren doch früher Leute gewesen, die immer so freundlich gegrüßt hatten!
Nach einiger Zeit wurde die Familie de Haas, die schon wirklich lange in Wildeshausen lebt, aus ihrem Geschäft gedrängt, Julius Goldstein gab ebenfalls sein Geschäft auf und ging mit seiner Familie nach Amerika. Von ehemals 20 Wildeshauser Juden sind mittlerweile nur noch gut die Hälfte übrig. Erst vor einigen Wochen haben wir beschlossen, unsere Synagoge aufzugeben und das Gebäude zu verkaufen. Vor 11 Tagen feierten wir unseren letzten Gottesdienst. Das war wirklich traurig. Die Wildeshauser Synagoge in der Huntestr. gab es schon seit über 100 Jahren. 100 Jahre gemeinsames Beten, Lernen, Leben… alles vorbei.
Aber das reicht ihnen immer noch nicht! Obwohl es in Wildeshausen gar keine Synagoge mehr gibt, wollen sie sie trotzdem noch schänden! Heute Mittag sind SA-Leute und die Feuerwehr vor die Huntestr. 30 gezogen, haben die neuen Mieter, eine rein „arische“ Familie, wie sie sagen würden, hinausgeworfen, um dann das Haus, das mittlerweile dem Bäckermeister Johann Meyer gehört, anzuzünden. Ich habe gehört, dass sie nicht einmal das richtig konnten! Ein Traktor, der zufällig vorbeikam, musste mithelfen, den Giebel einzureißen! Seitdem streunt dieses Lumpengesindel von der SA durch die Stadt, ohne dass ihm irgendjemand Einhalt gebietet. Ich habe Angst, dass sie zu uns an die Tür kommen… Was soll denn dann nur werden?.... Ich habe so eine Angst…