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Es ist kaum zu glauben, dass wir bereits das Jahr 1763 schreiben! Fast 70 Jahre bin nun alt und es ist nicht zu leugnen, mich Clara Franziska Antonetta, Gräfin von Westerholt zu Lembeck plagen mittlerweile manche Zipperlein. Doch mit dem Blick zurück muss ich sagen, der liebe Gott hat es durchaus gut mit mir gemeint!
1694 wurde ich auf Schloss Lembeck bei Dorsten als zweites Kind des Grafen Dietrich Konrad von Westerholt geboren. Fünf Kinder hatten meine lieben Eltern, doch nicht einen Sohn. Daher erlosch mit meinem Vater die Linie derer zu Lembeck und unser Stammsitz ging durch die Heirat meiner älteren Schwester in den Besitz der Grafen von Merveldt über. Während nun auch meine übrigen Schwestern sich standesgemäß verheirateten, entschied ich mich ganz bewusst gegen die Ehe. Ich wollte lieber ein geistliches, frommes Leben führen – und eines das unabhängig ist von den Launen eines Ehegatten, der einem wohlmöglich das Reiten oder das Glücksspiel verbieten will!
1719 wurde ich, gerade 25 Jahre alt, zur Äbtissin des Damenstiftes zu Langenhorst. Und obwohl ich später die gleiche Würde in Freckenhorst erhielt, blieb hier doch zeitlebens mein Zuhause. Damals war Langenhorst übrigens schon längst kein Kloster mehr. Bereits 1576 beschlossen die adeligen Damen nicht mehr klösterlich zu leben, sondern Langenhorst in ein freiweltliches, kaiserliches, adeliges Damenstift umzuwandeln. Selbstverständlich gehört das Chorgebet noch immer zu unseren täglichen Aufgaben, aber wir legen kein Gelübde mehr ab und können jederzeit das Stift verlassen.
Unsere Gemeinschaft besteht aus 12 adeligen Stiftsdamen. Jede von ihnen hat so vermögend zu sein, dass sie dem Stift keinesfalls zur Last fällt. Schon bei ihrer Aufnahme hat jede von ihnen 50 blanke Taler für ihr Residenzkleid aufzubringen. Zudem muss sie für die Leute aus Stift und Kirchenspiel 2 Tonnen Bier ausgeben, die bei Musik und Tanz vertrunken werden! Ja, so weltlich geht es mittlerweile bei uns zu. Doch ändert das natürlich nichts an unserem adeligen Stand. Meiner Abkunft entsprechend führe ich einen herrschaftlichen Haushalt mit zahlreichen Bediensteten. Und selbstverständlich verfüge ich über Grundbesitz. 1738 kaufte ich mir einen Burgmannshof samt Garten, Brauhaus und Pferdestall auf der Oberburg in Nienborg. Den Kauf habe ich dann als Burgmannsfrau kräftig mit den Nienborger Junggesellen gefeiert. Ach, das war herrlich! ...
Aber meine Hauptaufgabe liegt natürlich hier in Langenhorst. Als Äbtissin des Stifts gebiete ich über große Ländereien – und über alle zugehörigen Bauern! Ich setze Pfarrer, Kaplane und Lehrer ein, ich sitze zu Gericht. Aber natürlich liegt mir auch das Seelenheil meiner Untergebenen am Herzen. Ja, und auch als Patentante bin ich immer wieder sehr gefragt. Oh ja – und selbstverständlich kennt man mich auch als Bauherrin! Gleich zu Beginn meiner Zeit hier, habe ich mir ein prunkvolles Gebäude errichten lassen, auf dessen Giebelseite in großen Lettern noch immer der schöne Schriftzug zu lesen ist: „Clara Franziska Antonetta, Gräfin von Westerholt zu Lembeck hat dies aus eigenen Mitteln erbaut.“
Schöne Dinge habe ich mir immer etwas kosten lassen, zumal wenn es Herzensangelegenheiten waren.
Ach, mein geliebtes Langenhorst, schon 44 Jahre bin ich deine regierende Äbtissin. Doch spüre ich, dass ich dich bald verlassen muss. Aber es ist alles von mir zum Besten bestellt worden. Und meine Nichte, eine geborene Gräfin von Merveldt, wird mein Erbe antreten und sich um dich kümmern ...