Welcome to the audio tour through our historic town Otterndorf. 9th grade students from the local school Gymnasium Otterndorf have translated and recorded the English version of the tour for you.

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Jede alte Stadt hat so ihre Geheimnisse oder man weiß von einer spukhaften Bewandtnis. Sehen Sie den Kranich auf der Spitze des Hausgiebels? Ob Sie´s glauben oder nicht: Jede Nacht, wenn die Turmglocke zur Mitternacht läutet, öffnet der Kranich seine Augen. Dann beginnt er mit der Kugel zu spielen, die er in seiner rechten Kralle hält. Er wirf sie seinen kleinen Bruder zu, der über der Eingangstür des Hauses sitzt. Dieser fängt sie und wirft sie blitzschnell wieder zurück. All die hunderte von Jahren ist keinem von beiden jemals die Kugel entglitten. Erstaunlich, nicht wahr?
Einige Otterndorfer sagen jedoch, das sei Quatsch! Nicht die Sache mit der Kugel, sondern dass die Figur ein Kranich sei. Sie wollen wissen, dass ein Hamburger Kaufmann hier in Otterndorf ein zweites Geschäft errichtet habe. Und dieser Kaufmann habe seine eigene akribische Wesensart mit dem Vogel versinnbildlichen wollen. Deshalb sei der Vogel auch kein Kranich, sondern ein Sekretärsvogel.
Die meisten, aber nicht alle Sagen und Geschichten, haben ihren wahren Kern: Der Vogel ist natürlich ein Kranich. Schon seit alters her ist das Tier ein Symbol für das vorausschauende und kluge Handeln, die Sorgfalt und die Wachsamkeit - alles Tugenden, die einem Kaufmann gut anstehen.
Im Jahre 1712 erwarb der Hamburger Gewürzhändler Hans Radiek das Haus, das Ende des 16. Jhds. erbaut worden war. Er errichtete in Otterndorf ein Zweitgeschäft für seine Zentrale, um die umliegenden Märkte einfacher bestücken zu können. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn das Geschäft. Er war es, der den großen Speicher hinter dem Haus bauen ließ. Als er 1748 verstarb, hinterließ er das Geschäft seiner Witwe Elisabeth. Sie war eine Hamburger Deern mit einem ausgeprägten Geschäftssinn. Das zahlte sich aus und machte sie zur erfolgreichen Geschäftsfrau. Letztlich wurde sie so wohlhabend, dass sie ihrem Haus im Jahr 1765 eine schmucke neue Front verpassen und dem Giebel den Kranich aufsetzen lassen konnte, beides nach Hamburger Vorbild. Dazu ließ sie das Haus mit ihrem Wahlspruch versehen:
Der Kranich hält den Stein,
des Schlafs sich zu erwehren.
Wer sich dem Schlaf ergibt,
kommt nie zu Gut und Ehren.
Elisabeth Radiek war eben eine aufgeweckte Dame.
Heute ist im Kranichhaus übrigens das Museum für Kulturgeschichte und Volkskunde untergebracht und im Speicher ein Teil des Landkreisarchivs Cuxhaven.