Foto: Thomas Remme

Hufeisenregion

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Die Wallfahrtskirche St. Johannes in Rulle ist umrankt von einer Vielzahl von Wundererzählungen. Als erstes ist die Gründung des Klosters durch die Zisterzienserinnen zu erwähnen. Da ihr Kloster in Haste abgebrannt war, erhielten die Klosterfrauen vorübergehend Unterkunft auf einem Meyerhof in Rulle, zu dem auch die St. Ulrichskirche gehörte. Während nun neues Bauholz zum Wiederaufbau des Klosters geschlagen wurde, rollten die Stämme nachts auf unerklärliche Weise den Berg nach Rulle hinab. Nachdem sich der Vorgang mehrfach wiederholt hatte, wurde den Nonnen klar, dass es göttlicher Wille sei, das neue Kloster in Rulle anstatt in Haste zu erbauen. Von dem Holz, das ins Tal der Nette herabrollte, soll sich übrigens der Ortsname Rulle ableiten.
Das im Jahr 1246 gegründete Kloster gedieh und machte insbesondere durch seine Gelehrsamkeit von sich reden.

Im Jahre 1347 ereignete sich jedoch etwas Folgenschweres: Die Zisterzienserinnen hatten auf dem Altar der St. Ulrichskirche einen Korb für Spenden aufgestellt, um Mittel für eine Schmuckmonstranz zu sammeln. Daneben hatten sie eine Dose mit 5 in Leib Christi gewandelte Oblaten gelegt. Unbekannte Diebe raubten nun beides und entkamen mit dem Inhalt des Sammelkorbes, aber für die Oblaten hatten sie offenbar keine Verwendung und warfen sie weg. Einige Tage später fand man die Dose ganz in der Nähe des Klosters wieder. Als man sie öffnete, hatten sich die Oblaten nicht nur von ihrer geistigen Substanz her, sondern auch wahrhaftig in blutiges Fleisch verwandelt. Dieses heilige Blutwunder machte sofort die Runde. Es wurde an der Fundstelle eine dem heiligen Johannes geweihte Wallfahrtskapelle gebaut, die in Zukunft das Ziel der Heilig-Blut-Wallfahrt werden sollte. In einer feierlichen Zeremonie wurde die Hostiendose dorthin überstellt. Mit Hilfe vieler Pilgerspenden konnte 1652 schließlich eine kostbare gotische Turmmonstranz gefertigt werden, in der heute noch Dose des Blutwunders aufbewahrt wird.

Damit aber nicht genug: Der Wallfahrtsort verfügt auch noch über eine heilkräftige Marienquelle: Ein blinder Schäfer entdeckte sie einst, indem er seinen Hirtenstab in den Boden steckte. Als er ihn wieder hinauszog, brach sich die Quelle ihre Bahn. Indem der Schäfer sich mit dem Wasser die Augen benetzte, wurde er wieder sehend.

Die Vielzahl dieser Legenden und der mit ihnen in Verbindung stehenden Relikte machen bis heute Rulle zu einem gefragten Wallfahrtsort. Bis zu 50000 Gläubige kommen jedes Jahr hierher. Zudem ist Rulle Station des Jakobsweges an der via baltica.

Das Kloster der Zisterzienserinnen gibt es heute nicht mehr, es wurde 1803 aufgelöst. Aber ein Großteil des Baubestandes ist erhalten, allerdings nicht immer unbedingt erkennbar. Als nach dem Ersten Weltkrieg die Heilig-Blut-Wallfahrt eine Renaissance erlebte, wurde wegen der Vielzahl der Pilger der gesamte Bestand an alten Kirchen und Kapellen überbaut und in die heutige Form gebracht.