Das Kripplein Christi kurz nach seinem Wiederaufbau in Glandorf 1952

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Eine Kirche aus Holz? Ein „Kripplein“? - das klingt rein sprachlich schon nicht unbedingt westfälisch. Und das Ganze auch noch evangelisch in einer traditionell katholischen Gegend. Wenn das nicht merkwürdig ist!

Ist es tatsächlich! Denn diese Kirche ist in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit.

Wie nahezu überall in Deutschland wurde nach dem 30jährigen Krieg eine strikte Trennung zwischen den Konfessionen angeordnet, und Glandorf blieb katholisch. Solche gewachsenen Strukturen veränderten sich über viele Generationen bis ins 20. Jahrhundert kaum, denn eine Mobilität, wie wir sie heute kennen, war für die Allermeisten kaum denkbar. Eine Auflösung dieser scheinbar unverrückbaren Ordnung zogen erst die Wirren infolge des 2. Weltkrieges nach sich. Nach dem Untergang der Hitler-Diktatur mussten viele Menschen aus den ehemals ostdeutschen Gebieten Flucht und Vertreibung über sich ergehen lassen. Im Zuge dessen verschlug es eine Anzahl evangelischer Schlesier nach Glandorf.

Gerade unter traumatischen Bedingungen ist die Sehnsucht nach Glaube, Halt und Gemeinschaft besonders groß. Deshalb war es den Neuankömmlingen ein essenzielles Bedürfnis, einen angemessenen Gottesdienst feiern zu können. Zunächst gewährte ihnen die St. Johannis Kirche Unterschlupf – allerdings nur in der Sakristei. Da es dort zu eng war, wich man in die katholische Schule aus, dann in den Saal der Gastwirtschaft Brandes, der auch nur eine Interimslösung darstellen konnte.

Da war es wie eine glückliche Fügung, dass die evangelische Gemeinde in Holsen-Ahle bei Herford ihre Notkirche aus dem Jahr 1912 ersetzen wollte. Dieses Gebäude im Stil eines Fertighauses hatte der Architekt Karl Siebold aus Bethel für schnell wachsende Diasporagemeinden entwickelt und war dementsprechend leicht ab- und wieder aufzubauen. Die Glandorfer Protestanten kauften es kurzerhand und hatten damit endlich eine eigene Kirche. Die Bauteile wurden behutsam demontiert und in Glandorf wieder aufgebaut. Vieles musste ersetzt oder repariert werden. Einen Großteil davon schafften die Glandorfer Protestanten in ehrenamtlicher Eigenleistung, so dass sie noch 1952 in ihrem „Kripplein Christi“ Gottesdienst feiern konnten!

Der Name der Kirche stammte übrigens aus der ostdeutschen Heimat. Im 17. Jahrhundert hatte eine evangelische Gemeinde in Posen ihre Kirche aufgeben müssen und hatte sich auf die Schnelle ein neues Provisorium zugelegt. Ihr Pastor Herberger hatte bei der Kirchweihe gesagt: Es soll das Gotteshaus heißen: Kripplein Christi. Hat das Jesulein keinen Raum in der Herberge, so hat es doch Raum in einem Kripplein! – Für die Namensgebung ihrer Kirche hätten die evangelischen Neuglandorfer wohl kaum eine passendere Tradition aufnehmen können.