Fritz Roggemann wird Zeuge eines unfassbaren Verbrechens...

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Wir schreiben das Jahr 1922. Es ist der 3. Juli. Als Fritz Roggemann diesen Morgen das Haus verlässt, weiß er noch nicht, was er ihm an diesem Tag bevorsteht. Er wird nämlich Zeuge eines unfassbaren Verbrechens werden!

Roggemann geht im Kayhauserfeld Torf stechen. Während er wie gewöhnlich mit dem Spaten seiner Arbeit nachgeht, stößt er plötzlich auf etwas merkwürdig Hartes. Er zieht den Spaten aus dem Torf, an dem nun Fetzen eines Kleidungsstückes hängen und einige kleine Knochensplitter. Neugierig geworden gräbt Roggemann weiter, entfernt den Torf und stößt auf eindeutig menschliche Überreste. Wenig später macht Roggemann Meldung von seinem Fund.

Am folgenden Morgen steht der Chef der zuständigen Behörde am Ort des Geschehens. Es ist jedoch nicht etwa jemand von der Polizei, sondern Direktor Martin vom Naturhistorischen Museum in Oldenburg. Denn der Tote, der hier gefunden worden ist, liegt hier augenscheinlich schon so lange, dass die Polizei diesen Fall ganz sicher nicht mehr lösen kann. Das Moor hat eine erstaunliche konservierende Wirkung und kann über Jahrtausende hinweg organisches Material vor dem vollständigen Zerfall bewahren. So sind Mumien aus dem Moor oft besser erhalten als die der ägyptischen Pharaonen.

Der Leichnam wird nun vollständig geborgen und nach der ersten Sichtung von Torfstecher Roggemann recht rustikal mit der Schubkarre nach Bad Zwischenahn gefahren. Dort liegt er dann einige Tage in der Gastwirtschaft Spieker, kaum geschützt vor neugierigen Besuchern, die kleinere Knochenstücke oder Fingernägel als Souvenirs mitnehmen. Schließlich aber landet sie doch im Museum und wird innerhalb der nächsten 90 Jahre insgesamt viermal gründlich untersucht, zuletzt mit einer Computertomographie. Heraus kommt dabei, dass die Moorleiche der Überrest eines vielleicht siebenjährigen Jungen ist, der mit drei Stichen in den Hals getötet worden ist. Dann hat man ihn allem Anschein nach ordentlich im moorigen Untergrund beigesetzt. Wie aber das Verbrechen vonstatten gegangen ist, wer der Mörder war und ob er für seine Tat hat büßen müssen, alles das wissen wir nicht, denn das Geschehen, dessen Spuren hier vor Ort gefunden worden sind, ist etwa 2200 Jahre her.

Die Moorleiche aus Kayhauserfeld  liegt heute im Museum für Natur und Mensch in Oldenburg. Man kann sie zusammen mit einigen weiteren Mumien aus dem Moor dort besuchen. Sie sind der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ohne dass sie in reißerischer Weise entwürdigt werden. So erschließt sich hier die Faszination der Moorleichen in angemessener Weise: Zwar sind sie Zeugnisse einer unvorstellbar weit entfernten Vergangenheit, doch sind sie, jenseits aller Barrieren der Zeit, durch das, was sie in aller Unverkennbarkeit einmal gewesen sind, uns in berührender Weise nah.