Foto - Stefan Herringslack

Von Unterwasserreisen und Muschelbänken!

Von Unterwasserreisen und Muschelbänken!

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Der ausgehölte Berg direkt zu Ihren Füßen, der sog. Canyon, ist ein alter Kalksteinbruch,

der uns ein Fenster in die Erdgeschichte und in eine unvorstellbar weit zurückliegende Zeit öffnet. Kommen Sie mit auf eine virtuelle Tauchfahrt!

Vor etwa 100 Mio. Jahren war der weltweite Meeresspiegel der Ozeane deutlich höher als heute. Damals war der CO2-Gehalt der Luft um ein Vielfaches höher. Die Welt der Dinosaurier war die Welt eines Treibhauses. Das Gebiet des heutigen Osnabrücker und Tecklenburger Landes war komplett überflutet und für Millionen von Jahren Ablagerungsraum für Meeressedimente. Die Küstenlinie lag damals im Bereich des heutigen Sauerlandes, also etwa 100 Km südlich von hier. Im Meer lagerten sich dicke Schichten von abgestorbenen kalkschaligen Meeresbewohnern ab, die im Laufe der Jahrmillionen durch immer wieder überlagernde Schichten schließlich zu Gestein gepresst wurden.

Zum  Ende der Kreidezeit machten sich die ersten Gebirgsbildungsprozesse in unserer Region bemerkbar, denn seitdem driftet die Afrikanische Erdplatte auf die Eurasische Platte zu und faltet durch den immensen Druck an den Plattenrändern die Alpen auf. Die ungeheuren tektonischen Kräfte reichten aber so weit nach Norden,  dass sich sogar in unserer Region die Erdkruste aufwölbte. Das sog. Niedersächsische Tektogen entstand, das den Teutoburger Wald, das Osnabrücker Hügelland und das Wiehengebirge mit einschließt. Die mittlerweile tief im Erdboden verborgenen versteinerten Kalksteinschichten wurden auf diese Weise angehoben und wieder ans Tageslicht gebracht. Das heißt, Sie stehen hier auf uraltem Meeresboden bestehend aus Überresten von Seeigeln,  Muscheln und unzähligen mikroskopisch kleinen kalkschaligen Organismen, die vor vielen Jahrmillionen lebten.

Wenden Sie sich nun einmal um 180 ° und schauen Sie Richtung Norden. Dort blicken Sie auf einen weiteren linearen Gebirgszug, der ebenfalls zum Teutoburger Wald gehört. Gehen Sie ein paar Schritte vorwärts, sehen Sie links auf dem Höhenzug die Stadt Tecklenburg. Befinden wir uns hier auf Meeresboden, so ist Tecklenburg gewissermaßen auf Sand gebaut, es  steht nämlich auf einem uralten versteinerten Sandstrand, der noch viel älter ist als der Kalkfels zu unseren Füßen. Wie das zustande kommt, erkläre ich Ihnen: Der Tecklenburger Sandstein lag ursprünglich weit unter unserer Kalkablagerung, doch durch die Gebirgsauffaltung stehen die Schichten, die früher einmal horizontal übereinander lagen, nun vertikal nebeneinander. Besonders anschaulich wird dieser Sachverhalt im Wiehengebirge bei Bad Essen – in Barkhausen lassen sich Dinosaurierspuren bewundern, die die Felswand nahezu senkrecht empor laufen.

Von langen Reihen und kalkigen Gesichtern!

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Von hier aus gut erkennbar breitet sich am Südhang des Teutoburger Waldes die Stadt Lengerich aus. Die Ortschaft wurde schon in mittelalterlichen Quellen als  „Lehngerike“ bezeichnet, was nichts anderes als „lange Reihe“ bedeutet. Lengerich ist also eine typische Straßensiedlung entlang des sog. „Deetweges“, eines uralten Handelsweges, der vielleicht schon in vorgeschichtlicher Zeit benutzt wurde. Er kreuzte sich hier mit einer Trasse, die in Nord-Süd Richtung verlief. Ihre erste urkundliche Erwähnung findet die Stadt im Jahr 1147. Fast bis in diese Zeit reicht die Geschichte der weithin sichtbaren Evangelischen Stadtkirche im Zentrum Lengerichs. Ihre jetzige Gestalt stammt zwar aus dem 15. Jhd., allerdings verweist die Südwand mit ihrem romanischen Stufenportal noch immer auf das alte Gotteshaus aus dem 13. Jhd.. Und so beschaulich der Ort von hier oben auch aussieht, so blickte für einen Moment ganz Deutschland, vielleicht sogar ganz Europa auf ihn, denn hier zwischen Münster und Osnabrück fanden Vorverhandlungen zum Westfälischen Frieden statt, so dass auch Lengerich Anteil an dem so dringend ersehnten Frieden von 1648 hat.

Werfen Sie nun einen genaueren Blick auf die Stadt: Ganz links am südöstlichen Rand Lengerichs ist der Industriekomplex der Zementfabrik Dyckerhoff AG kaum zu übersehen. Die Ansiedlung der Kalkindustrie lag im Bau der Eisenbahnlinie Münster– Osnabrück von 1871 begründet. Beim Tunnelbau für die Bahn wurden nämlich die hiesigen Kalksteinschichten des Teutoburger Waldes durchschnitten. Und diese weckten nicht nur das Interesse der Geologen, sondern auch die Begehrlichkeiten der Kalkindustrie. Der aus Recklinghausen stammende Unternehmer Adolf Wicking kaufte die kalksteinführenden Grundstücke und kam so der Konkurrenz zuvor. Zur Jahrhundertwende verrichteten um die 1000 Arbeiter die mühsame und körperlich belastende Arbeit in den Kalksteinbrüchen. Die Steine mussten per Handarbeit gelöst, verlesen und in die Loren gefüllt werden – und das bei einem 12-Stunden-Tag. 1931 fusionierte das Wicking-Werk mit Dyckerhoff und bekam seinen heute weithin bekannten Namen.

Auch an dem Steinbruch zu unseren Füßen, dem heute sog. Canyon, stand am gegenüberliegenden Hang ein Kalkwerk mit Brennöfen. Dieses wurde erst 1962 stillgelegt und im Jahr darauf abgebrochen. Auf der unteren Sohle des Steinbruchs entstand nach seiner Stilllegung der charakteristische, durch den hohen Kalkgehalt türkisblau leuchtende See. Aufgrund der besonderen Standortbedingungen siedelten sich zudem seltene Tiere und Pflanzen an. Deshalb ist der Canyon heute ein als „Steinbruch im Kleefeld“ bezeichnetes Naturschutzgebiet. Zum Schutz der gefährdeten Arten darf das Gebiet nur auf dem Rundweg betreten werden.