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„Die Straße gleitet fort und fort, weg von der Tür wo sie begann…“ An anderer Stelle betont der Dichter, dass so eine Straße etwas durchaus Gefährliches sei, da sie einen dazu verführe, einfach einen Fuß vor den anderen zu setzen, und schon sei man, bevor man es sich versehe, am anderen Ende der Welt.
Auch wenn uns im normalen Leben die Straße als etwas durchweg Alltägliches erscheint, hat sie tatsächlich etwas an sich, was wir heutzutage meistenteils übersehen. Der Luxus bequemer, befestigter Fahrbahnen, den wir von den alten Römern ererbt haben, überdeckt den eigentlichen Grundgedanken von „Straße“ als einer gangbaren Linie zwischen mindestens zwei Örtlichkeiten, die sehr weit voneinander entfernt liegen können. Diese „gangbaren Linien“ gab es vermutlich schon zu Zeiten des ersten Aufblühens von Kultur in der Jungsteinzeit – und das Wissen darum wurde von Generation zu Generation als kostbarer Schatz weitergegeben. Daher sind viele Straßen oder Überlandwege, wie sie uns in geschichtlicher Zeit bezeugt sind, wahrscheinlich schon bedeutend älter! Die sogenannte Vlämische Straße, die den Ostseeraum mit den Niederlanden verband, ist einer der Stränge dieses uralten Straßennetzes. Im Mittelalter führte sie von Lübeck über Hamburg und Bremen Richtung Wildeshausen und Cloppenburg. Etwa der heutigen B 213 folgend führte sie weiter durch Lastrup und Löningen bis ins Emsland, darüber hinaus ins Niederländische und schließlich bis nach Antwerpen und Brügge, wo die Hauptumschlagplätze der Hanse lagen.
Je mehr der Handel auf der Straße blühte, desto mehr profitierten auch die Anrainer, denn dadurch erhielten sie Anschluss an den Warenstrom und hatten Anteil durch Gastgewerbe oder Reparaturwerkstätten.
Seit dem 16. und 17. Jhd. waren bei uns auf der Flämischen Straße viele Wanderhändler unterwegs. Wenn sie aus Westfalen stammten, wurden sie landauf landab „Tödden“ genannt, Sie waren besonders erfolgreich im Handel mit Stoffen und Bekleidung. Kamen die Händler aus der Gegend des niederländischen Kampen, nannte man sie „Teuten“. Sie verlegten sich im Laufe der Zeit häufig auf Dienstleistungen, wobei es zu einigen wirklich interessanten Spezialisierungen kam: Einige verdingten sich beispielsweise als Fachkräfte für Falknerei. Andere, die sog. „Haar-Teuten“, kauften schönes langes Mädchenhaar ein, um es dann zu Höchstpreisen weiterzuverkaufen – denken Sie doch nur an das 17. und 18. Jahrhundert, das war das Zeitalter der Perücken! Dann gab es noch die Kesselflicker, die vielerorts nicht sonderlich beliebt waren, da sie der heimischen Handwerkerschaft die Kunden abspenstig machten. Und dann gab es noch ganz besondere Spezialisten, die sog. Kastrier-Teuten, die mit Erfahrung und Geschick Ferkel und Rindvieh zu Leibe rückten. (Schmunzelnd) Was für eine Berufung!
Solange die vorindustriellen Zustände anhielten und Postkutschen auf der Flämischen Straße fuhren, konnten die Wanderhändler mit ihrem Angebot konkurrieren. Schwieriger wurde es allerdings, als die Eisenbahn ihren Siegeszug antrat, da ging die Blütezeit des Wanderhandels langsam aber sicher ihrem Ende entgegen.