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Von der alten Oldenburger Synagoge ist heute nichts mehr zu sehen. In der Reichspogromnacht von 1938 ist sie vollständig ausgebrannt, die Brandruine wurde abgerissen. Seit 1963 steht am Ort des Gotteshauses in der Peterstraße ein Mahnmal, auf dem ein Auszug aus dem 2. Kapitel des Buches Malachi zu lesen ist. In Vers 10 spricht der Prophet: “Haben wir nicht alle einen Vater? Hat uns nicht ein Gott erschaffen? Warum denn verachten wir einander?” Die für uns nach wie vor fassungslose Frage nach dem „Warum“ des Holocaust ist in diesem alttestamentlichen Zitat deutlich gespiegelt. Warum dieser Judenhass, warum diese sinnlose, völlig enthemmte Gewalt, warum dieser ungezählte Mord an unschuldigem menschlichen Leben?

Gerade in Oldenburg war das jüdische Leben vergleichsweise unbelastet. Seit dem 18. Jhd. gab es hier ununterbrochen jüdisches Leben, wenn auch erst mit zaghaften Anfängen. Einzelnen Juden wurden Schutzbriefe erteilt, die ihnen den Aufenthalt und ein Gewerbe erlaubten. Staatsbürger waren sie damit noch nicht. Noch 1846 vermeldet der aus Jever gebürtige Joseph Mendelssohn: Der Großherzog ist den Juden sehr freundlich gesinnt; … Der menschliche Sinn …des Großherzogs für alle Dinge wird hoffentlich auch das Schutzverhältnis seiner israelitischen Untertanen in ein unbedingt staatsbürgerliches verwandeln. Doch erst infolge der Märzrevolution von 1848 wurde tatsächlich eine Angleichung der Rechte jüdischer Mitbürger vorgenommen. Nur wenige Jahre später wurde ein erster Synagogenbau in der Peterstraße geweiht. Die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ notiert:  „24. August 1855. Heute fand hier die Einweihung der Synagoge unter allgemeiner Teilnahme statt. Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin beehrten die Feier mit Ihrer Gegenwart.“ Und auch als die Gemeinde 1905 sich so weit entwickelt hatte, dass sie auf über 200 Personen angewachsen war, übrigens noch immer unter 1% der Gesamtbevölkerung, schickte der Großherzog zur Wiedereinweihung der um- und ausgebauten Synagoge eine freundliche Grußbotschaft aus seiner Kur in Dresden, und betonte sein Bedauern, nicht persönlich anwesend zu sein. Judenhass klingt anders. Doch da wähnte sich die deutsche Welt auch noch in Ordnung. Man sah sich als aufstrebende Weltmacht, und das Kaiserhaus blendete viele mit seinem Glanz. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg zerbrachen jedoch alle Illusionen. Der Nationalstolz war gedemütigt, soziale und politische Missstände wurden mit einem Schlag offenbar. So stand nun einer angeblich guten alten Zeit eine scheinbar unerträgliche Gegenwart gegenüber. Angst und Verunsicherung suchen oft nach schneller Antwort - oder nach einem Sündenbock. Obwohl das besonders assimilierte deutsche Judentum willig einen furchtbaren Blutzoll im Krieg geleistet hatte, wurde ihm plötzlich die Schuld an der Niederlage vorgeworfen. Und dieses Erklärungsmuster kam vielen gerade recht, insbesondere denjenigen, die über die wahren Gründe nicht nachdenken wollten oder konnten. Aus Anfeindung wurde Ausgrenzung, aus Ausgrenzung Vertreibung, schließlich kaltblütiger Mord.

Dass es heute wieder eine lebendige jüdische Gemeinde in Oldenburg gibt, ist für die Stadt eine historisch unverdiente Gnade, eine zweite Chance für alle Wohlmeinenden und gleichzeitig eine Mahnung, im eigenen Interesse den politischen Rattenfängern und ihren scheinbar einfachen Lösungen nicht hinterherzulaufen, sondern in einer starken Demokratie, Vernunft und Mitmenschlichkeit zu leben und zu gestalten.