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Es ist sicher richtig, dass noch heute jede Nacht unstete Geister durch die Oldenburger Innenstadt streifen. Aber die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, ist etwas ganz anderes, denn darin geht es um ein wahrhaftiges Gespenst, einen echten Wiedergänger.

Hier in der Achternstraße lebte vor inzwischen mehr als 200 Jahren der Kaufmann Muhle, ein geachteter Oldenburger Ratsherr. Da er aber in seiner Jugend ein armer Zimmergeselle gewesen war, munkelte man, dass er seinen Reichtum nicht auf ehrliche Weise erworben hatte. Und dieses Gerücht kam nicht von ungefähr. Einer seiner Arbeiter brachte Muhle eines Tages einen Brief und bat ihn, den Inhalt vorzulesen, da er selbst nicht lesen konnte. Dabei erwies es sich, dass dem Arbeiter eine reiche Erbschaft aus Holland zuteil geworden war, ganze drei Tonnen Gold! Muhle las ihm aber nun nichts anderes vor, als dass er nur eine Handvoll Goldmünzen geerbt habe und bot sich an, als Bevollmächtigter die Erbschaft einzuholen. Freudig ging der arme Mann darauf ein und erhielt nur wenig später zufrieden seinen unverhofften Gewinn, nicht ahnend, dass er furchtbar betrogen worden war. Mit der erschwindelten Erbschaft wurde Muhle jedoch märchenhaft reich. Da er nun meinte, sich alles leisten zu können, begann er seine nächste Umgebung zu tyrannisieren. Dazu warf er das Gold mit vollen Händen zum Fenster heraus. Sogar die Stachelbeerbüsche seines Gartens sollen mit goldenen Adlerfiguren verziert gewesen sein.

Als es nun mit ihm zu Ende ging, war sein Sündenregister so groß, dass er im Grab keine Ruhe fand. Bei Nacht und sogar bei Tag ging er in seinem Haus um und verbreitete dort Angst und Schrecken. Einige erzählen, als sich der Spuk nun gar nicht legen wollte, habe man zwei Patres aus dem Kloster Vechta kommen lassen, die berühmt für ihre Macht über Wiedergänger und ruhelose Tote waren. Sie bannten den Geist des Ratsherrn Muhle zwischen sich, stiegen mit ihm auf einen Wagen und fuhren hinaus aus der Stadt. Der Wagen wurde jedoch immer langsamer, obwohl sich die Pferde immer mehr abmühten. Den Kutschknecht packte das kalte Grausen, als ihm klar wurde, dass die Last des Wagens immer schwerer wurde, je weiter sie sich von der Stadt entfernten. Nur mit arger Not schafften sie es schließlich bis zum Wildenloh, einem Wald außerhalb der Stadtgrenzen, wo Muhle nun bis zum jüngsten Tag die Heide zählen muss.

Andere behaupten dagegen, dass es nie gelungen ist, den Geist des Ratsherrn endgültig zu bannen. Noch lange soll er in seinem Garten an der Alexanderstraße als großer schwarzer Hund gesehen worden sein, dessen Gesicht sich manchmal in das des Ratsherrn verwandelt. Und manche sagen, dass dieser Hund noch immer so manche Nacht durch die Straßen der Innenstadt streift…